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Die junge Frau und der Obdachlose

 

Aus der Reihe "Beobachtungen":

Von einer Sekunde zur anderen kann sich das Leben verändern...
Manchmal kann es eine völlig fremde Hand sein, die Hilfe anbietet...

 

Eine schlanke, junge Frau mit langen braunen Haaren läuft traurig und gedankenversunken durch die Straße. Scheinbar ziellos. Tränen laufen über ihr Gesicht. Sie sieht aus, als wenn ihr Leben gerade auseinandergebrochen ist. Zwischendurch bleibt sie stehen. Vakuum-Moment. Sie schüttelt mit dem Kopf, als wenn sie gerade selbst nicht begreifen kann, was da passiert ist. Was immer es auch sein mag. Für sie ist es schlimm. Man spürt ihren Schmerz. Ihre Verletzung und Hilflosigkeit. Dann setzt sie sich wieder in Bewegung. Läuft weiter. Bleibt stehen. Menschen gehen an ihr vorbei. Einige schauen neugierig, andere irritiert hinter ihr her. Wieder andere bekommen von ihrer persönlichen Lebenskrise gar nichts mit. Sie zieht die Mütze noch etwas tiefer ins Gesicht, so als ob sie sich schützen müßte. Ein kleinwenig unsichtbar machen, vielleicht.

 

Ihre Augen sind starr aber nicht leblos. Eher fassungslos. Offenbar hat sie die Fassung verloren. Vor ihr, nur ein paar Meter entfernt, ist eine Bank. Ein Obdachloser hat dort seinen Platz eingenommen und scheint sich auf die nun bald beginnende Nacht vorzubereiten. Die junge Frau schaut zu der Bank. Sie ist auch müde. Vom Laufen. Vom Weinen. Es ist kalt. Sie streicht sich die langen Haare nach hinten und geht zielstrebig Richtung Bank. Schweigend setzt sie sich neben dem offenbar verwunderten Obdachlosen. Er schaut sie an. Fragend. Sie schaut ihn nicht an. Aber sie weint wieder. Die Tränen laufen ihr jetzt unkontrolliert über ihr verfroren aussehendes Gesicht.

 

Der Obdachlose wirkt jetzt ebenfalls hilflos. Sagt aber nichts. Sie weint. Er sitzt still neben ihr. Dann dreht er sich um, greift hinter sich. Er holt eine Decke, die er der weinenden, immer noch schweigenden jungen Frau um die Schultern legt. "Du erfrierst mir ja hier", sagt er. Dann sitzen sie einfach schweigend nebeneinander. Zwei Fremde, die sich auf einmal in einer schwierigen Situation ganz nah sind. Fast ohne Worte...

 

 

 

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© Daniela Herbig